Japanische Kalligraphie und Christlicher Kreuzweg? Auf den ersten Blick sind beide künstlerischen Darstellungen so weit voneinander entfernt, wie keine zwei anderen voneinander entfernt sein könnten. Aber nur auf den ersten Blick...
KACHOFUUGETSU (Blumen, Vogel, Wind, Mond): Ein Schritt weiter: es zeigt die Natur durch vier Geschöpfe, wie Schönheit (Blumen), Eleganz (wie der Vogel fliegt), Bewegung (Wind) und das Vergehen (Mond und dessen Phasen). Diese führen uns zu einer innerlichen Ruhe und Gelassenheit, vergleichbar einer positiven Melancholie, die uns mit den erfolglosen menschlichen Anstrengungen versöhnt.
In der Reihe “Kunst hinter’m Vorhang” waren ab Sonntag, 23. September 2018, in der Kirche “Maria Schmerzen” im Kaasgraben japanische Kalligraphien zum Leiden Christi, sowie weitere Kalligraphien gezeigt.
Was ist japanische Kalligraphie?
Die sogenannten „Kanji“-s, die „Buchstaben“ chinesischer und japanischer Schriften, sind wohl die ältesten der heute verwendeten Schriftzeichen. Sie stammen von reduzierten hieroglyphischen Abbildungen und sind etwa 1000 Jahre älter, als die lateinischen Buchstaben. Da die Schriftzeichen aber Wörter und keine Buchstaben sind, kann alles viel konzentrierter aufgeschrieben werden: eine Seite in einem japanischen Buch entspricht etwa vier bis fünf Seiten auf Deutsch.
Dieser Unterschied spiegelt sich auch in der Denkweise der Japaner wider. Stark komprimierte Notifikation ermöglicht einen weitreichenderen Überblick, als es im abendländischen Kulturraum üblich ist. (Stichwort: Römisches Recht, wo nach einer eindeutigen JA/NEIN Antwort gesucht wird –während die Fernöstliche Denkweise zwischen JA und NEIN unendlich viele Kompromissstufen sucht.)
Die „Komprimierung“ als Kunstrichtung ermöglicht es, lange Sätze kurz zu beschreiben – vorausgesetzt man kennt die kulturellen und historischen Hintergründe. Ein Beispiel auf Deutsch: die Schlüsselworte des Satzes „Dankbarkeit gehört zu den Schulden, die jeder Mensch hat, aber nur die wenigsten tragen sie ab“ sind: „Dankbar, Jeder, Wenige, Abtragen“. Kommt man aus dem deutschsprachigen Kulturraum und liest „Dankbar, Jeder, Wenige, Abtragen“, assoziiert man früher oder später oben genannten Satz.
Greifen wir nun ein einziges Wort jeder Station auf, das mit dem Kreuzweg oder dessen biblischem Hintergrund in Zusammenhang steht! Schreiben wir diese 14 Wörter hintereinander auf, wird der Leidensweg Christi sofort erkennbar – auch wenn die Stationen selbst, weder bildlich noch anders betitelt zu sehen sind.
Und eben darum geht es in diesem künstlerischen Werk: aus den kalligraphierten Wörtern sollen sich Gefühle und Gedanken entfalten, die wir weiterdenken und mitnehmen können.
Diese drei Kalligraphien (Bedeutung von links nach rechts: Glaubensbekenntnis, Gebet, Hartnäckigkeit) stellen eine Parallele zum gekreuzigten Jesus und den beiden Schächern her.
Einer der Verbrecher, die neben ihm hingen, verhöhnte ihn: Bist du denn nicht der Messias? Dann hilf dir selbst und auch uns! Der andere aber wies ihn zurecht und sagte: Nicht einmal du fürchtest Gott? Dich hat doch das gleiche Urteil getroffen. Uns geschieht recht, wir erhalten den Lohn für unsere Taten; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. Dann sagte er: Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst. Jesus antwortete ihm: Amen, ich sage dir: Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein.
Junko Baba ist Lehrbeauftragte für Japanische Kalligraphie an der Universität Wien und Japan-Expertin. Ihre Leidenschaft: Shodō – der japanische Weg der Schreibkunst. Er verbindet Ruhe und Konzentration sowie Tradition mit Kreativität. Mehr zu Junko Baba: https://www.junko-baba.com
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